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'Warum eigentlich Sprachnormen einhalten?', …

Rechtschreibung und Flüchtigkeitsfehler im Tagesspiegel

 

... das frage ich mich gelegentlich, wenn mein kritisches Auge wieder einmal auf vermeidbare Flüchtigkeitsfehler im Online-Journalismus aufmerksam geworden ist. Regelrecht darauf gestoßen werde ich auf der Internetpräsenz einer bekannten überregionalen Berliner Tageszeitung. Manchmal schon in den Headlines, beinahe zuverlässig jedoch in mindestens einem Teaser – pro Tag … Fehler passieren. Auch mir selbst. Genau dafür gibt es ja Lektorinnen und Lektoren: für einen zweiten Blick von außen.

 

Vielleicht stellt die Online-Redaktion irgendwann noch einmal eine Redakteurin oder einen Redakteur für Korrektorate ein. Doch ich glaube, es gibt Gründe, warum eine verhältnismäßig hohe tägliche Fehlerquote in Kauf genommen wird: Sie interessiert erstens niemanden. Und sie hat zweitens offenbar keinerlei Konsequenzen. Weder wirtschaftliche Konsequenzen, noch scheint die Reputation des Mediums darunter zu leiden.

 

Ökonomisierung des Online-Journalismus

Online-Journalisten produzieren nicht nur Content, sondern sie müssen ihn klickträchtig präsentieren und möglichst zeitnah veröffentlichen.

Online-Journalismus transportiert nicht nur Information, sondern ist gleichzeitig ein Marketinginstrument für die Plattform, auf der er veröffentlicht wird.

 

Im Digitaljournalismus wird viel gemessen: Klickzahlen, Absprungraten, Resonanz, Impact. Die Fehlerquote scheint dagegen keine Rolle zu spielen. Ein fehlerfreier Text scheint keinen erhöhten Marktwert zu besitzen. Korrektorate kosten offenbar mehr als sie einbringen. Sie würden zudem die Veröffentlichung verzögern. Und Zeitverlust ist in der Welt der permanenten „latest news“ ebenfalls Geldverlust.

 

Toleranzentwicklung gegenüber Fehlern in der digitalen Kommunikation

Leserinnen und Leser sind online meist „eilig drauf“ und entwickeln Toleranz gegenüber den Flüchtigkeitsfehlern, die sie beim privaten Chatten und in semiprivaten Korrespondenzen ja auch selbst leicht produzieren und bewusst stehen lassen: Die Ansprüche liegen umso tiefer, je inoffizieller die Kommunikation ist. Private Chats sind kein Vermächtnis, kein Dokument. In ihnen kann Groß- und Kleinschreibung vertauscht werden, ein „das“ ein zweites „s“ angehängt bekommen, ein Wort fehlen oder eine Konstruktion grammatikalisch ziemlich schief gebaut werden. Hauptsache, der Inhalt wird verstanden. Die digitale Kommunikation orientiert sich im privaten Bereich an der Mündlichkeit, hat unmittelbare Zwecke. In ihr ist die Botschaft wichtiger als sprachliche Regelkonformität. Und die private Botschaft ist meist emotional geprägt

 

Teaser binden sich an Emotionen

Da Online-Journalismus sich schon lange auch interaktiv versteht und Leserinnen und Leser in Diskussionen einbezieht, könnte man vermuten, dass ein fehlendes Lektorat vielleicht sogar Kundenbindung erzeugt.

 

So wie in Stefans schneller Nachricht an Clara ein Wort fehlt und Clara trotzdem weiß, was Stefan ausdrücken will, kann auch im Teaser eines Online-Artikels problemlos ein Wort fehlen, ohne dass sich darüber in den Kommentaren aufgeregt wird.

 

Teaser sollen zum Weiterlesen verleiten. Sie werden versehen mit wertenden Adjektiven oder auffordernden Fragen, die neugierig machen, irritieren sollen. Ihre Rhetorik dient der Erzeugung einer Spannung, die ausreichend stark ist, den Klick auf den Artikel auszulösen. Daran sind Leserinnen und Leser schon so gewöhnt, dass sie sich weder an der Emotionalisierung der Sprache noch an häufigen Flüchtigkeitsfehlern stören.

 

Flüchtigkeit

Die Haltbarkeit eines Artikels in Online-Ausgaben von News-Medien ist zudem relativ gering. Selten ist ein Artikel länger als einen Tag sichtbar, einige Artikel verschwinden schon nach wenigen Stunden, wenn sie nicht häufig genug gelesen werden, sich keine emotionale Diskussion in den Kommentaren ergibt, oder wenn einfach klickträchtigere Inhalte platziert werden müssen. Online-Journalismus hat also ebenso wie private schriftliche Kommunikation etwas sehr Flüchtiges. Und Flüchtigkeit bedingt Flüchtigkeitsfehler.

 

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